Botanischer Garten

Forschung Ex-situ-Erhaltung & Wiederansiedelung

Forschung zur Ex-situ-Erhaltung und Wiederansiedlung: Phase II (seit 2018 )

Die zweite Phase des Ex-situ-Projektes startete im Frühjahr 2018. Ziel ist es die Ex-situ-Erhaltung prioritärer Arten in der Schweiz voranzubringen, die Forschung rund um die Themen «Ursachen von Seltenheit» und «Einflussgrössen des Wiederansiedlungserfolgs» fortzuführen, Wiederansiedlungen mit ausgewählten Arten durchzuführen und das Schweizer Ex-situ-Netzwerk nachhaltig zu stärken und weiterzuentwickeln.

Um die Ursachen von Seltenheit bei Pflanzenarten herauszufinden, untersucht das Ex-situ-Projekt die Auswirkungen von vier wirbellosen Herbivoren (Frassfeinden: Schnecken, Heuschrecken, Raupen und Engerlinge) auf häufige und seltene Pflanzenarten. Dabei soll geklärt werden ob seltene Arten möglicherweise stärker unter Herbivorie leiden als häufige Arten und ob dies auch bei Artenförderungsmassnahmen berücksichtigt werden könnte.

Ein zweiter Schwerpunkt des Projekts sind die genetischen Risiken, die sich in kleinen, isolierten Populationen seltener Arten bilden und welche Rolle diese bei der Wiederansiedlung spielen. Zum Beispiel untersucht es die Auswirkungen von Inzuchtdepression auf seltene Arten. Dazu werden per Handbestäubung Pflanzen ingezüchtet (und gleichzeitig ausgezüchtet) und diese Effekte zwischen seltenen und häufigen Arten verglichen.

Gleichzeitig werden mit einer ausgewählten Anzahl von Arten Wiederansiedlungen durchgeführt. Dabei wird durch das Mischen von Herkünften die genetische Vielfalt in der Ansiedlung künstlich erhöht, um deren Einfluss auf den Etablierungserfolg der Art zu untersuchen.

Durch Weiterbildungen und Workshops werden die Kenntnisse und Erfahrungen an andere Akteure weitergegeben und so das Netzwerk und auch die Praxis der Ex-situ-Erhaltung und Wiederansiedlung nachhaltig gestärkt.

Projektteam

Dr. Andreas Ensslin, Sarah Bürli, Adrian Möhl, Prof. Dr. Markus Fischer

Arbeitspakete

1. Sicherung von prioritären Arten ex situ

Das Ziel der Ex-situ-Erhaltung ist, gefährdete Arten oder auch Populationen vor dem Aussterben zu retten, wenn das Überleben in der Natur nicht gesichert ist. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es mehrere Möglichkeiten:

  • Die sicherste Möglichkeit ist die Einlagerung der Samen in eine professionelle Samenbank, wo sie bei -18°C eingefroren werden und so für mindestens 30-50 Jahre ohne nennenswerten Verlust gelagert werden können. Dies geht allerdings nur wenn die Samen austrocknungsresistent (im Fachjargon: orthodox) sind.
  • Als weitere Möglichkeit können sogenannte Erhaltungskulturen geschaffen werden, wo die Arten in Beeten, z.B. in Botanischen Gärten, sozusagen in künstlichen Populationen kultiviert werden.

Ziel dieses Arbeitspakets ist es, so viele Arten wie möglich in der derzeit einzigen professionellen Samenbank für Wildpflanzen der Schweiz in Genf zu sichern und für Arten, die sich nicht für die Lagerung in der Samenbank eignen, Erhaltungskulturen in Botanischen Gärten zu schaffen. Dazu arbeiten wir eng mit Info Flora, der Samenbank des Botanischen Garten Genf und weiteren botanischen Gärten der Schweiz zusammen.

BOGA-Mitarbeiterinnen beim Sammeln von Samen in den Berner Alpen.

2. Planung und Durchführung von Wiederansiedlungen

Wiederansiedlungen sind ein wichtiges Instrument, um das Überleben gefährdete Arten in ihrem natürlichen Lebensraum zu sichern, wenn sie dies aus eigener Kraft nicht mehr können. Durch die wissenschaftliche Begleitung von Wiederansiedlungen können offene Fragen in der Wiederansiedlungsökologie untersucht werden und so die Praxis der Wiederansiedlung verbessert werden. Eine wichtige Frage ist zum Beispiel, ob das Mischen von mehreren Populationen sich positiv auf den Etablierungserfolg einer Ansiedlung auswirkt, oder ob dies vor allem eine Frage der Menge des ausgebrachten Materials (Samen oder Jungpflanzen) ist?

Um dieser Frage nachzugehen, führt das Ex-situ-Forschungsprojekt in den Jahren 2019 und 2020 Wiederansiedlungen mit mehreren stark gefährdeten Arten durch. Dabei werden jeweils zwei Herkünfte der gefährdeten Art gemischt bzw. nicht gemischt, und gleichzeitig auch die Anzahl der gepflanzten Individuen variiert.Dies erlaubt es, den Einfluss der genetischen Diversität sowie der «Masse» an ausgebrachten Materials zu trennen und so neue Erkenntnisse für die bestmögliche Durchführung von Wiederansiedlungen zu gewinnen.

Auch Masterarbeiten zum Thema Wiederansiedlungen werden im BOGA durchgeführt.

Neben den eigens geplanten Wiederansiedlungen ist der BOGA in mehrere externe Wiederansiedlungsprojekte involviert, in denen in Zusammenarbeit mit kantonalen Partnern und Umweltbüros Arten für Wiederansiedlungen vermehrt werden.

Wissenschaftliche Wiederansiedlung verschiedener Trockenrasenarten bei Bern.

3. Forschung rund um wichtige Fragestellungen in der Wiederansiedlungsökologie

3.1 Herbivorie an seltenen Arten

In der ersten Phase des Ex-situ-Projektes war eine wichtige Fragestellung «Was sind die Ursachen für die Seltenheit von Arten und wie können diese zur Gefährdung der Art beitragen?». Eine Erkenntnis aus den ersten Studien war, dass seltene Arten stärker unter spezifischen Bodenpathogenen leiden als häufige Arten.

In der zweiten Phase soll die Frage vertieft werden, wie Pflanzenarten mit Tieren interagieren. Dabei konzentrieren wir uns auf Herbivore, also Frassfeinde der Pflanzen. Zwei Aspekte stehen im Fokus:

  1. Werden seltene Arten mehr oder weniger von Herbivoren bevorzugt als häufigere Arten?
  2. Findet Herbivorie eher oberirdisch oder unterirdisch statt?

Als Frassfeinde wurden vier verschiedene, generalistische Arten ausgesucht:

  • die Raupe des Baumwollspinners (Spodotera lithoralis),
  • die Weinbergschnecke (Helix aspersa maxima),
  • die Wanderheuschrecke (Locustra migratoria),
  • sowie als unterirdischer Frassfeind die Maikäferlarve (oder Engerling: Melolontha melolontha).

Ziel des Projekts ist es nicht nur herauszufinden, ob diese Frassfeinde seltene Pflanzen gegenüber häufigen Arten bevorzugen, sondern auch, ob diese vom Fressen auf seltenen Arten mehr profitieren, also besser auf ihnen gedeihen.

Sarah Bürli, Doktorandin in dem Projekt, führt dazu im Gewächshaus mehrere Frassversuche an etwa 40 seltenen, sowie 20 häufigen Pflanzenarten durch.

Frassversuche im Gewächshaus der Universität Bern. a) Unterirdische Herbivorie des Engerlings. b) Frassspuren des Baumwollspinners im oberirdischen Herbivorieversuch. c) Frassversuche mit Heuschrecken: Jede Pflanze ist mit einem Netz umhüllt, damit die Heuschrecken den Topf und damit die Pflanze nicht verlassen können. d) Eine Wanderheuschrecke frisst am seltenen Riesenampfer (Rumex hydrolapathum).

3.2 Inzuchtdepression bei seltenen Arten

Genetische Aspekte spielen schon lange eine zentrale Rolle bei der Erforschung der Populationsdynamik von seltenen Arten. Oft sind Populationen seltener und gefährdeter Arten klein und isoliert. Dazu haben sie mit genetischer Verarmung und Inzucht zu kämpfen.

Um den Erfolg von Wiederansiedelungen zu steigern, ist es wichtig zu wissen, ob seltene Arten durch Inzuchtdepression geschädigt sind und ob durch eine Steigerung der genetischen Diversität (z.B. Mischen von Samen/Individuen verschiedener Herkünfte) den Population geholfen werden kann?

Um diese Fragen zu untersuchen, führt Sarah Bürli kontrollierte Bestäubungen mit Paaren von seltenen und häufigen Pflanzenarten derselben Pflanzenfamilie durch, wobei sie bei jedem Individuum einige Blüten mit der Hand selbstbestäubt und gleichzeitig andere Blüten am selben Individuum mit Pollen aus der gleichen Population, sowie aus einer Nachbarpopulation fremdbestäubt.  

Bestäubungsversuche mit seltenen Pflanzenarten. a) Doktorandin Sarah Bürli beim Handbestäuben der grossblütigen Braunelle (Prunella grandiflora). b) Handbestäubte Blüten des Pyrenäen Löffelkrauts Cochlearia pyrenaica sind mit einer Etikette markiert, um die reifen Früchte später von den handbestäubten Blühten ernten zu können.

4. Stärkung der Schweizer Ex-situ-Netzwerks, Öffentlichkeitsarbeit und Wissenschaftskommunikation

Die Ex-situ-Erhaltung und Wiederansiedlung gefährdeter Pflanzenarten fristet in der Schweiz noch eher ein Nischendasein. Eine der Ursachen dabei ist der mangelnde Informationsfluss zwischen der Wissenschaft und der Praxis, aber auch der teilweise geringe Bekanntheitsgrad dieses Ansatzes bei Behörden, der Öffentlichkeit und Naturschützern.

In diesem Arbeitspacket wird mit Hilfe von Informationsveranstaltungen wie Führungen, Exkursionen und Ausstellungen das Thema Ex-situ-Erhaltung und Wiederansiedlung der breiten Öffentlichkeit näher gebracht, und Chancen und Risiken aufgezeigt, um Vorurteile aufzubrechen. Mit Workshops und Weiterbildungen möchte das Projekt, Interessierte sowie bereits aktive Akteure in der Schweiz für die bestmögliche Umsetzung von Wiederansiedlungen sensibilisieren und gleichzeitig gegenwärtige Probleme und Missstände diskutieren.

Als erster Schritt hat der BOGA zusammen mit dem Botanischen Garten Genf, Info Flora und dem Forum Biodiversität im Frühjahr 2019 einen Workshop zum Thema «Ex-situ-Erhaltung gefährdeter Pflanzenarten: Leitlinien und Informationsaustausch» durchgeführt. Weitere Workshops, Ausstellungen und andere Informationsveranstaltungen zu diesem Thema sind in Planung.

Öffentlichkeitsarbeit des BOGA in Sachen Ex-situ-Erhaltung: a) Führung durch die Forschungsgewächshäuser mit den Versuchen zur Herbivorie an seltenen Arten. b) Exkursion zur Wiederansiedlung des Blutroten Knabenkrauts (Dactylorhiza cruenta) im Gasterntal.